Neues Sanierungsrecht – Das Dilemma zwi­schen Gesell­schafter und Gläu­biger bleibt

Dr. Stephan Kolmann

Widerspricht der Gesellschafter eines Krisenunternehmens einer Sanierung, gerät das Management in die Zwickmühle. Mit dem neuen StaRUG hat der Gesetzgeber die Chance vertan, dieses Problem zu lösen, meinen Stephan Kolmann und Birgit Kurz.

Die §§ 2 und 3 im Entwurf des Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetzes (StaRUG) sollten dem Management in der Unternehmenskrise erstmalig ausdrücklich erlauben, das Gläubigerinteresse über den gegenläufigen Gesellschafterwillen zu stellen. Doch die Regelung wurde nicht Gesetz, und damit ist der Weg in ein frühzeitiges Sanierungsverfahren ohne Gesellschafterzustimmung für die Geschäftsleiter unverändert steinig und haftungsträchtig.

Birgit Kurz

Das Problem erfasst nicht nur StaRUG-Verfahren, sondern ist auch für die Einleitung von Schutzschirm- und Eigenverwaltungsverfahren aktueller denn je. Denn die Bedeutung von Schutzschirmverfahren, die bereits bei drohender Zahlungsunfähigkeit zur Durchführung einer strukturiert geplanten Sanierung eingeleitet werden können, wird zunehmen. Warum? Das zum Jahresbeginn in Kraft getretene StaRUG verschafft der Implementierung von Krisenfrühwarnsystemen endlich die notwendige Aufmerksamkeit, gerade im Bereich der mittleren und kleinen Unternehmen (KMU). Tiefgreifender Sanierungsbedarf sollte frühzeitiger erkannt werden.

Häufig wird das StaRUG-Verfahren nicht die Therapie der Wahl darstellen. Denn die Möglichkeit, in operative Verträge einzugreifen und leistungswirtschaftlich zu sanieren, wurde im Gesetzgebungsverfahren gestrichen. Ein Eingriff in den Bestand von Arbeitsverhältnissen war ohnehin nie vorgesehen. Das ist auch richtig so: Für Restrukturierungsfälle, in denen richtig tief „geschnitten“ werden muss, gibt es die Verfahren und Instrumente des Insolvenzrechts.

Trend zu außergerichtlichen Sanierungen wird zunehmen

Hieraus folgt eine Reflexwirkung auf die außergerichtlichen Sanierungen. Die Nachteile der Insolvenz, nachdem das StaRUG-Verfahren nicht die gewünschten Werkzeuge enthält, wird das Streben nach Insolvenzvermeidung auf Seiten der Gesellschafter maßgeblich beeinflussen.

Das gilt im positiven wie im negativen Sinn. Möglicherweise wird dies sogar den Preis steigen lassen, die sogenannten Akkordstörer, also Gläubiger, die kein Entgegenkommen zeigen und auf ihren Forderungen beharren, endlich loszuwerden. In die andere Richtung betrachtet verschafft das ungewollte Insolvenzszenario den Druck, bei operativen Verträgen Lösungen zu finden. Eine gute Verhandlungsstrategie, hohe Konfliktlösungskompetenz sowie eine überzeugende wirtschaftliche Analyse der Alternativen werden der Schlüssel zum Erfolg sein.

In diesem Rahmen werden auch in Zukunft die Eigenverwaltung und vermehrt das Schutzschirmverfahren die zentralen Sanierungsverfahren sein. Dies hat der Gesetzgeber erkannt, indem er die Eintrittsschwellen angehoben hat. Die Anforderungen, v.a. im Bereich der Geschäfts- und Restrukturierungsplanung, sind nur auf den ersten Blick eine Verschärfung. Für eine substanzielle Zahl von Schuldnern bleibt es während einer Übergangsphase nach § 5 Covid-Insolvenzaussetzungsgesetz (COVInsAG) beim alten Recht. Ferner dürften in der bisherigen Praxis die sorgfältig vorbereiteten Verfahren diese Qualitätsmerkmale schon erfüllt haben.

Die Frage nach dem Insolvenzverfahren stellt sich nun früher

Neu ist allerdings, dass sich die Frage nach dem gezielten Schritt in ein Insolvenzverfahren zwecks Sanierung – alternativ zum StaRUG-Verfahren – nun zu einem deutlich früheren Zeitpunkt stellen wird. Nach den neuen Eröffnungsgründen kann eine drohende Zahlungsunfähigkeit schon bis zu zwölf Monate bestehen, bevor (wegen des auf zwölf Monate verkürzten Prognosezeitraums bei der Überschuldung) die Fortbestehensprognose entfällt und damit eine Überschuldung eintritt.

Doch wie kommt die Geschäftsleitung mit dem Krisenunternehmen unter den rettenden Schutzschirm, wenn Gesellschafter bzw. Aufsichtsorgane (mehrheitlich) nicht mitziehen und gerade (noch) keine Insolvenzantragspflicht besteht?

Den Schutzschirmantrag selbst kann das Management rechtswirksam stellen. Aber welche Haftungsrisiken gegenüber den opponierenden Gesellschaftern hat ein solcher Antrag? Das altbekannte Geschäftsleiter-Dilemma sieht folgendermaßen aus: Die Gesellschafter setzen bis zur Insolvenzreife alles auf Gesellschaftsrettung, wo es eigentlich im besten Interesse der Stakeholder wäre, das gerichtliche Sanierungsverfahren für die Unternehmensrettung möglichst frühzeitig einzuleiten.

Das Management bleibt im Dilemma

Die §§ 2, 3 StaRUG-E hätten erstmalig einen gesetzlichen Rahmen zur Auflösung dieses Dilemmas vorgeben sollen. Das Management hätte ab Eintritt einer drohenden Zahlungsunfähigkeit mit fortschreitender Verdichtung der Unternehmenskrise den Gesellschafterhut mit dem Gläubigerhut tauschen dürfen bzw. sogar müssen. Weisungen des Gesellschafters wären unmaßgeblich gewesen. Es gab kritische Stimmen im Gesetzgebungsverfahren und die Sorge, dass Unternehmen ihren Eigentümern unfreundlich oder verfrüht weggenommen werden könnten. Der ausdrückliche „shift of fiduciary duties“ des Managements zugunsten der Gläubigerinteressen wurde nicht Gesetz.

Was bedeutet diese Entwicklung im StaRUG-Gesetzgebungsverfahren für die Beantragung eines Schutzschirmverfahrens gegen den Willen des Gesellschafters? Auch ohne die ursprünglich vorgesehenen StaRUG-Regelungen spricht vieles dafür, dass schon im Stadium einer drohenden Zahlungsunfähigkeit vom Management zunehmend Gläubigerinteressen zu beachten sind und in Ermessens- und Abwägungsentscheidungen miteinfließen müssen.

Ansonsten wären Geschäftsleiter gezwungen, sich bei Nicht-Ergreifen von erfolgversprechenden Sanierungsmaßnahmen durch die Gesellschafter zynisch zu verhalten: Einfach nur abzuwarten, bis dann auch tatsächlich eine materielle Insolvenz eintritt und damit das Weisungsrecht der Gesellschafter wegfällt – und zugleich die Sanierungsaussicht infolge weiterer Verluste sinkt? Nein, denn der Gesamtschaden für alle Stakeholder wäre umso größer.

Frühwarnsysteme gewinnen an Bedeutung

Risikofrüherkennung und entsprechende Überwachung werden durch das StaRUG wesentlich bedeutsamer. Welchen Sinn hätte das beste Frühwarnsystem, wenn das Management nicht auch entsprechend handeln und frühzeitig den Sanierungsprozess einleiten könnte? Dieses Verständnis beschränkt sich richtiger Weise nicht auf StaRUG-Verfahren und wird insoweit auch durch Überlegungen zur richtlinien-konformen Auslegung gestützt. Es erfasst auch weitere Instrumente zur Unternehmenssanierung.

Der Schutzschirmantrag gegen opponierende Gesellschafter darf über eine gläubigerschützende Auslegung der Geschäftsleiterhaftung im vertieften Krisenstadium nicht zu haftungsrechtlichen Konsequenzen führen, wenn er nicht pflichtwidrig ist. Pflichtwidrig kann es z.B. sein, wenn sich die Geschäftsleitung eigenmächtig über tragfähige alternative Sanierungsoptionen aus dem Gesellschafterkreis hinwegsetzt. Soweit die Geschäftsleitung mit dem Schutzschirmverfahren jedoch realistische Sanierungsoptionen verfolgt und der Gesellschafter hierzu keine Alternativen vorlegt, handelt das Management pflichtgemäß.

Eine vertane Chance

Im Bereich der Business Judgement Rule wird es immer auf die Bewertung des Einzelfalls ankommen. Der Gesetzgeber hat mit dem StaRUG eine große Chance vertan, den Geschäftsleitern für ihre Entscheidungen im Feld der widerstreitenden Gesellschafter- und Gläubigerinteressen einen konkreteren Rahmen und damit mehr Rechtssicherheit im Rahmen von schwierigen Management-Entscheidungen mitzugeben.

Damit bleibt es vorerst allein bei einer weiteren Ausdifferenzierung der Haftungsgrundsätze durch Literatur und Rechtsprechung. Die Lage für Geschäftsleiter ist weiterhin unübersichtlich und rechtliche Beratung bleibt komplex. Ein Nachschärfen des Gesetzgebers wäre wünschenswert.

Ein letzter Punkt: Im Rahmen von gesetzlichen Reformüberlegungen und nach gut einem Jahr „Pandemieberatung“ sollte der Gesetzgeber auch über finanzielle Starthilfen für Unternehmen nachdenken, die sich über ein erfolgreiches Sanierungsverfahren wieder wettbewerbsfähig gemacht haben. Um Wachstum zu fördern und Wachstumsperspektiven zu erhöhen, erscheint dies geeigneter als die Vergabe von staatlichen Krediten an restrukturierungsbedürftige Unternehmen außerhalb der eigentlich gebotenen Sanierungsverfahren.

Dr. Stephan Kolmann ist Gründungspartner von KJK Kolmann Jakobs Kramer, einer zum Jahreswechsel neu entstandenen Kanzlei für Sanierungen und Konfliktlösung.
Birgit Kurz ist Rechtsanwältin bei KJK Kolmann Jakobs Kramer und berät Unternehmen und Gläubiger zum Gesellschafts- und Insolvenzrecht.

Quelle: Legal Tribune Online ( lto.de )

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