Das ursprünglich zur Milderung der Folgen der COVID-19-Pandemie erlassene „Gesetz zur vorübergehenden Anpassung sanierungs- und insolvenzrechtlicher Vorschriften zur Abmilderung von Krisenfolgen“ (kurz SanInsKG) hatte der Gesetzgeber Ende 2022 anlässlich der negativen wirtschaftlichen Folgen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine für die Wirtschaft angepasst. Hintergrund waren insbesondere die Unwägbarkeiten hinsichtlich der Energie- und Rohstoffpreise. Eine der Kernregelung in § 4 Abs. 2 Nr. 1 SanInsKG ist, dass im Rahmen der Prüfung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung im Sinne des § 19 Abs. 2 S. 1 InsO an Stelle der zwölfmonatigen Fortbestehensprognose ein bloß viermonatiger Zeitraum tritt. Diese Regelung ist befristet bis zum 31.12.2023.
Gemäß § 19 InsO in Verbindung mit § 15a Abs. 1 InsO ist bei Vorliegen einer insolvenzrechtlichen Überschuldung von den Vertretern der Geschäftsleitung einer juristischen Person (GmbH, AG, KGaA, UG) sowie Personengesellschaften ohne natürliche Person als persönlich haftenden Gesellschafter (insbesondere GmbH & Co. KG) zwingend Insolvenzantrag zu stellen. Andernfalls drohen erhebliche zivilrechtliche Haftungs- und Strafbarkeitsrisiken für die Mitglieder der Geschäftsleitung (und unter Umständen Aufsichtsratsmitglieder) persönlich. Eine insolvenzrechtliche Überschuldung liegt verkürzt gesprochen dann vor, wenn (i) nach Liquidationswerten die Schulden das Vermögen übersteigen (sog. Rechnerische Überschuldung) und (ii) ein Fortbestehen in den kommenden zwölf Monaten nicht überwiegend wahrscheinlich ist. Für die letztgenannte sog. Fortbestehensprognose ist maßgeblich, ob eine überwiegende Wahrscheinlichkeit (über 50 %) des Fortbestehens des Unternehmens für den genannten Zeitraum besteht. Entscheidend sind Plausibilität und Umsetzbarkeit der Finanzplanung im genannten Zeitraum im Sinne einer „Durchfinanzierung“. Besteht entweder keine Überschuldung in diesem Sinne oder ist die Fortbestehensprognose positiv, so besteht keine Antragspflicht.
Befristet bis zum 31.12.2023 regelt das SanInsKG die Verkürzung dieses Prognosezeitraums von zwölf auf vier Monate. Dennoch muss allen Geschäftsleitern geraten werden, bereits seit dem 01.09.2023 wieder eine zwölfmonatige rollierende Planung zu Grunde zu legen (sofern eine Rechnerische Überschuldung festgestellt wird). Hintergrund ist ein Hinweis in der Gesetzesbegründung zum SanInsKG, wonach auch eine nach dem 31.12.2023 eintretende negative Fortbestehensprognose „relevant sein“ kann und somit „schon vor dem Ablauf der Geltungsdauer einen Teil [der Regelungen des § 4 SanInsKG] ihrer praktischen Wirksamkeit einbüßen können“ (vgl. BT-Drs. 20/4087, Seite 7). Geschäftsleiter werden sich nicht pauschal damit rechtfertigen können, dass sie von einem kürzeren Prognosezeitraum bis Jahresende ausgegangen seien.
Es wird immerhin derzeit in Politik, Wirtschaft und Rechtswesen lebhaft diskutiert, ob mit den oben beschriebenen Unwägbarkeiten zu leben ist, der Prognosezeitraum erneut temporär oder dauerhaft zu verkürzen ist oder sogar die Überschuldung als (zwingender) Insolvenzantragsgrund abzuschaffen ist. Ob und wie sich das zuständige Ministerium für Justiz hierzu positionieren wird bleibt abzuwarten.
Dennoch muss allen Geschäftsleitern, welche eine Rechnerische Überschuldung feststellen, geraten werden, bereits jetzt eine zwölfmonatige rollierende Fortbestehensprognose zu erstellen und hinreichend zu dokumentieren, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen ist, dass im Prognosezeitraum fällige Verbindlichkeiten bedient werden können.
Vor der derzeitigen wirtschaftlichen Gesamtlage erscheint die Erstellung einer zwölfmonatigen Fortbestehensprognose in zahlreichen Branchen und für viele Geschäftsmodelle schwierig. Die Beratungserfahrung zeigt, dass Stakeholder – wie beispielsweise Banken, Gläubiger und Gesellschafter, aber auch neue Investoren – durchaus bereit sind, die Unternehmensfortführung aktiv zu unterstützen. Dies kann beispielsweise durch die Anpassung von Kreditverträgen, die Anpassung von Zahlungszielen oder ganzen (Rahmen-)Verträgen, die zur Verfügungstellung von weiteren Mitteln aus Gesellschafterkreisen sowie neuen Investments geschehen. Aus Geschäftsleitersicht ist hierbei wichtig, realistische und plausible Annahmen zu treffen, die eine Fortführung ermöglichen, dann frühzeitig und koordiniert auf die entsprechenden Stakeholder zuzugehen und die Erfolgsaussichten hinreichend zu dokumentieren.
Erst wenn auch nach Ausschöpfung der genannten Möglichkeiten eine Fortbestehensprognose nicht überwiegend wahrscheinlich ist, ist binnen längstens acht Wochen (ab 01.01.2024: sechs Wochen) Insolvenzantrag zu stellen, wobei diese Frist nur ausgeschöpft werden darf, wenn eine Beseitigung der Überschuldung in diesem Zeitraum möglich erscheint. Zudem ist auf Notgeschäftsführung umzustellen.